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Wer in der Schule Grenzen setzt, gewinnt innere Freiheit

Wenn wir uns von Schüler*innen beleidigt fühlen, eine unserer Klassen uns ständig zu provozieren weiß oder sich wieder jemand ganz Bestimmtes aus dem Kollegenkreis mit unseren Verdiensten schmückt, kann es sein, dass wir spüren, wie gerade eine persönliche Grenze überschritten wird. Als Schulleiter*in empfinden wir Grenzüberschreitungen z.B. dann, wenn wir uns aus dem Kollegium oder von Eltern Belehrungen hinsichtlich unserer Leitungsrolle anhören sollen.

 

Die Beispiele sind Teil einer Schulrealität, die uns zwingt, situativ und professionell zu reagieren. Gerade in diesen Konfliktsituationen sind wir aber ganz persönlich angegriffen, manipuliert oder verletzt worden. Um nicht spontan "angefasst" zu antworten, sollten wir umgehend etwas aus unserem individuellen professionellen Verhaltensrepertoire auswählen können. Grenzen zu setzen gehört meiner Meinung nach unbedingt dazu. 

 

Grenzen setzen zu können gibt innere Sicherheit, Freiheit und Schutz. Voraussetzung ist, die eigenen Grenzen zu kennen bzw. zu finden.

Grenzen finden

Um anderen in der Schule eine Grenze setzen zu können, müssen wir unsere eigenen Grenzen definieren. Dies geschieht im Prozess der Selbstreflexion und führt uns zu bewussten persönlichen Grenzziehungen. Unsere Grenzen können wir dann anderen setzen und, wenn es sinnvoll ist, ihnen auch erläutern.

 

Wir definieren zum Beispiel, auf welche Weise und wie weit Schüler*innen, Kolleg*innen, Eltern oder die Schulleitung sich uns nähern dürfen. Entsprechend bewusst wählen wir, wo und neben wem wir sitzen (z.B. im Lehrerzimmer), wie weit wir uns unseren Schüler*innen nähern (sehen wir ihnen z.B. über die Schulter, berühren wir sie, lassen wir uns von ihnen berühren?) oder wie wir andere in der Schule begrüßen (z.B. per Kopfnicken, Handschlag oder mit lockerer Umarmung). Auf diese Weise legen wir unsere physischen Grenzen fest.

 

Unsere ethischen und emotionalen Grenzen entstehen durch unser Bewusstsein über unsere Werte und Emotionen. Wie gehen wir damit um, wenn wir an der Schule mit ethisch Andersdenkenden konfrontiert sind? Wo verläuft unsere Toleranzgrenze? Welches Verhalten berührt unsere emotionale Grenze? Welches akzeptieren wir gerade noch als "grenzwertig" und welches bewerten wir als klaren Grenzübertritt? 

 

Wo in der Schule brauchen wir Grenzen, um uns als Privatperson zu schützen? Häufig entsteht uns Leid, das sich aus einer Vermischung von professioneller und privater Beziehungsebene ergibt. Wir denken z.B., wir wären befreundet, werden aber enttäuscht, denn "dass uns Kollege*in XY in den Rücken fällt, hätten wir gerade von ihm*ihr nicht erwartet".  

Persönliche Grenzen sind individuelle Konfliktlösungen

Durch die Erkenntnisse über unsere Grenzen sind wir im Kontakt mit unseren Bedürfnissen und Abneigungen. Diese gilt es zu respektieren und uns Grenzziehungen regelrecht zu erlauben.

 

Innerhalb unserer gut durchdachten Grenzen können wir uns nämlich sicher fühlen und Reaktionsweisen bzw. Handlungsstrategien finden, die zu uns passen. Unsere Grenzen schützen uns, weil wir unangemessene Anforderungen an uns erkennen und darauf professionell zu reagieren lernen. Darüber hinaus führen unsere Grenzen paradoxer Weise oft zu persönlicher Freiheit. Es ist die Freiheit, über die eigenen Grenzen hinweg den Austausch mit Schüler*innen, Eltern, im Kollegenkreis oder mit der Schulleitung reflektiert und gestärkt führen zu können. So kann uns unsere Verteidigung unserer persönlichen Grenzen sogar dahin führen, diese dank mutiger Auseinandersetzung mit anderen zu verschieben oder gar aufzugeben.

 

Unsere bewusst gesetzten Grenzen sind also individuelle Lösungen für konfliktreiche schulische Situationen oder können Ausgangspunkt für eine gemeinsame Lösungssuche mit anderen in der Schule sein.

Grenzen setzen

Schauen wir nochmals auf die eingangs vorgestellten Beispiele für mögliche Grenzüberschreitungen:

 

Wenn wir uns von einem*r Schüler*in beleidigt fühlen, bestimmen wir situativ wegen unserer bewusst gesetzten Grenzen das Maß der Beleidigung. Blitzschnell können wir dem*r Schüler*in entsprechend unserer Grenzziehung klar vermitteln, worin die Grenzüberschreitung besteht und welche Konsequenzen sein*ihr Verhalten beim wiederholten Mal haben wird. Selbst wenn eine ähnliche Situation bei einem*r anderen Lehrer*in anders gehandhabt wird - vielleicht weniger "streng" - ist das kein Grund, die eigene Grenze nicht zu behaupten. Allein wir entscheiden - es sei denn an der Schule gibt es allgemein abgestimmte Regeln als "Verhaltenskodex bei Beleidigungen von Schüler*innen" -, ob der Vorfall Anlass sein soll, die eigene Grenze zu überdenken. Bei Grenzüberschreitung durch Provokation können wir ähnlich vorgehen, indem wir unsere persönliche Grenze als Gradmesser nutzen und setzen.    

 

Wenn wir uns nicht gewürdigt oder "ausgebootet" fühlen, so ist das ebenso eine Verletzung einer unserer emotionalen Grenzen. Mutig zu widersprechen bzw. "die Dinge gerade zu rücken", ist unser gutes Recht und wertvolle Verteidigung unserer Grenze der Ertragbarkeit.

 

Wenn wir als Schulleitung hinsichtlich unseres Führungsverhaltens kritisiert werden, kann es ebenfalls hilfreich sein, Grenzen zu setzen, z.B. anhand der Frage, wieviel Nähe oder Distanz zwischen dem Kollegium und uns sein soll. Bewusst getroffene Abgrenzungsentscheidungen können klar und nachvollziehbar kommuniziert werden. Unsere Grenzziehung wird sichtbar und deswegen respektierbar. In der Folge lassen sich Überschreitungen leichter klären. 

 

In der Regel ist in allen Fällen die Wirkung von Grenzsetzung nachhaltig und stärkt sowohl unser Selbstbewusstsein als Lehrer*in oder Schulleiter*in als auch unsere Position im Kollegium oder an der Spitze einer Schule.

 

Deshalb: Wer in der Schule Grenzen setzt, gewinnt innere Freiheit!