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Die Perfektionsfalle

Haben Sie vielleicht den Anspruch, dass die meisten Ihrer Schülerinnen und Schüler Sie mögen? Oder wollen Sie möglichst perfekt vorbereitet in den Unterricht gehen? Sollen Ihre Schülerinnen und Schüler hochmotiviert sein? Möchten Sie ihnen bei ihren Problemen helfen und den Eltern jederzeit Rede und Antwort stehen? Dann wollen Sie höchstwahrscheinlich geliebt werden, kompetent und schülerorientiert sein, und abends beantworten Sie womöglich überdurchschnittlich oft wie selbstverständlich Elternfragen freundlich am Telefon. Ihr Sonntag wird in der Regel ein Arbeitstag sein, um am Montag gut vorbereitet starten zu können.

 

Selbst ähnlich handelnd, musste ich mir in jener Zeit eingestehen, ich war engagiert, aber nicht professionell. Viele meiner heutigen Klientinnen und Klienten gehen auf ähnliche Weise über ihre Grenzen. Das zu erkennen, ist schwer, denn wir haben den Anspruch und das Bedürfnis, fachlich gute, beliebte Lehrkräfte zu sein und halten unsere auf Perfektion gerichteten Verhaltensweisen deshalb für erforderlich. Wenn wir unseren Beruf jedoch lange und gerne ausüben wollen, können wir nicht täglich perfekt handeln. Wir brauchen eine gesunde Professionalisierung, die gleichzeitig unseren Schülerinnen und Schülern und uns selbst gerecht wird. Dann können wir unsere Stärken bewusst einsetzen, unsere Grenzen respektieren und unserer Persönlichkeit entsprechend authentisch agieren. 

 

Deshalb halte ich es inzwischen für wichtig, Symptome der Perfektionsfalle zu kennen und sich einzugestehen, wenn sie zutreffen. Dabei geht es vor allem auch um die Reflexion, warum ich beliebt oder fehlerfrei sein möchte, und ob ich meinen Schülerinnen und Schülern nicht gerade im Gegenteil Vorbild sein kann, wenn ich mir und ihnen Fehler einräume. Bedenkenswert, dass eine Fehlerkultur zu etablieren, heute anerkannter Bestandteil von Qualitätsentwicklung in der Schule ist. Wenn wir uns durch Perfektion versuchen unangreifbar zu machen, zahlen wir häufig einen hohen Preis (Überarbeitung, Anspannung, Einschränkung des Privatlebens, Unzufriedenheit). Wir wollen das Unmögliche erreichen und Erwartungen umfassend erfüllen. Die Erwartungen von Schülerinnen und Schülern, Eltern, Kolleginnen und Kollegen und der Schulleitung sind jedoch äußerst vielfältig und prasseln zudem auch widersprüchlich auf uns ein. Umso wichtiger ist unsere bewusste Entscheidung, wie hoch unser Einsatz sein soll, und welchen Aufwand wir je nach Situation und äußeren Bedingungen betreiben möchten (z.B. unterschiedlich je nach Klassensituation oder abhängig vom aktuellen persönlichen Spektrum der beruflichen und privaten Anforderungen).

 

Sich ein konkretes, attraktives, klares und realistisches Ziel zur Veränderung des persönlichen Perfektionsstrebens zu setzen und sich darauf zu freuen, dieses zu erreichen, kann hilfreich sein. Zum Beispiel: Ab 20.03. nutze ich die Energie des Frühlings, um wieder lockerer, kreativer und motivierter zu werden. Erlauben Sie sich Ihren Perfektionsanspruch hinunterzufahren! Wo möchten Sie sich neue Anregungen holen? Im Theater, auf der Didacta, während einer Fortbildung, beim Sport oder in einem Raum der Stille? Wofür möchten Sie Ihre (neue) Kraft nutzen? Wofür möchten Sie sie zielgerichtet einsetzen? Zum Beispiel: Ab jetzt entscheide ich bewusst, welchen Einsatz ich für welche schulische Aufgabe aufbringen bzw. wo ich Abstriche machen möchte. Es kann unterstützend wirken, eine Entlastungstabelle zu führen und in einer Spalte zu notieren, wie effektiv unser Arbeitseinsatz jeweils war. So geraten wir weniger unter äußeren Erfolgsdruck als vielmehr in die Steuerung unseres Erfolgs, d.h. in diesem Fall unseres selbst gewählten professionellen Maßes. Häufig können wir schwarz auf weiß besser erkennen, dass auch Entlastungsstrategien zu gut verantwortbaren Ergebnissen führen. 

 

Wenn Sie sich Ihr Entlastungsziel so knapp wie möglich aufschreiben -wie einen Slogan, ein Motto oder Mantra- und eine Vision dazu entwickeln, kann es eine ungeheure Kraft entwickeln. Je genauer wir im Voraus in diese Vision hineinspüren, desto attraktiver erleben wir unsere Neuausrichtung. Wer sehr häufig lange Zeit für eine perfekte Unterrichtsvorbereitung verwendet und sich zuweilen als verbissen erlebt, könnte in "Weniger ist mehr" ein entlastendes Motto finden und es mit der Vision zunehmender Freiheit im Unterricht verknüpfen:

Weniger Planung ist mehr Flexibilität, größere Offenheit, mehr Zugewandtheit, höhere Toleranz, mehr Lachen, mehr Spontaneität, mehr kreatives Durcheinander, der Fehler als Chance, weniger Druck, weniger Widerstand, mehr Beteiligung, echte Begegnung...

 

Gleichzeitig dürfen uns die Werte Gewissenhaftigkeit, Pflichtgefühl und Ehrgeiz wichtig bleiben, auch deren Vermittlung, indem wir unser Maß unserer Planungstiefe bzw. unseres Arbeitseinsatzes immer wieder bewusst wählen, authentisch vorleben und professionell vertreten. Unsere Vision kann uns tragen, uns auf einen längeren Weg der wirklichen Veränderung einzulassen, auf dem wir übertriebene Muster relativieren oder manchmal ganz loslassen: ein "perfektes" Image aufgeben, das Anerkennung versprach, oder eine Angst überwinden. Aber wir wählen unser Tempo selbst und bahnen unseren Weg aus der Perfektion in einen Schulalltag, der sich Schritt für Schritt leichter anfühlen kann. 

 

 

Was genau möchten Sie verändern? Wo lohnt es sich für Sie Perfektion aufzugeben, um Entlastung und Freiraum zu gewinnen? 

 

 

 

 

 

Für einen ersten Schritt auf Ihrem Weg kann der Frühlingsanfang energetisch wirken.

 

 

 

 

 

 

Dieses Jahr wohl nicht am heutigen Kalendertag, aber sobald sich Frühblüher mit Sonnenwärme gegen Eis und Schnee durchsetzen...