· 

Wo ist der Respekt geblieben? Wie Sie Respektlosigkeit in der Schule begegnen

"Ich tanz, tanz, tanz aus der Reihe,

in der Schule hat ich immer Langeweile.

Ich nehm Anlauf und spring durch die Scheibe,

Weil ich immer übertreibe!

(...)

Ich tanz, tanz, tanz aus der Reihe,

Und nicht nach irgendeiner Pfeife!"

(...)

So heißt es im Song des Berliner Musiker-Duos SDP auf ihrem Album "Bunte Rapublik Deutschpunk" 2014.

Dazu passt diese Sammlung aktueller Äußerungen von Schülerinnen und Schülern gegenüber ihren Lehrkräften:

"Von dir lass ich mir gar nix sagen", "Ich bin ruhig, wann es mir gefällt", "Du mit Deinen fetten Oberschenkeln kannst mir gar nichts, ich mach das hier, wie ich will". 

 

Zeitweise können wir uns in der Schule sogar mit noch schlimmeren verbalen Attacken, groben Beleidigungen, störendem Verhalten, demonstriertem Desinteresse oder Aggressionen konfrontiert sehen. Während des Unterrichts verbreitet sich in manchen Klassen eine unangenehme Lautstärke, die Ausdruck größter Unaufmerksamkeit ist. Lernen wird verhindert. Es scheint aber kaum möglich, für Ruhe und Entspannung zu sorgen.

 

Eine Lehrerin im Vorbereitungsdienst sagte mir neulich, sie sei geschockt: oft herrsche kein Respekt vor der Lehrperson! Vor ihr nicht und auch nicht vor älteren, erfahrenen Kolleginnen oder Kollegen, bei denen sie zur Zeit hospitiere. Das hätte sie nicht erwartet.

 

Müssen wir uns "warm anziehen", wenn wir im Lehrerberuf auf Dauer persönlich unbeschadet arbeiten möchten? Sind wir für den Beruf ungeeignet und Mimosen, wenn wir Respektlosigkeit von Schülerinnen und Schülern trotz des gegenteiligen eigenen Vorsatzes persönlich nehmen? Wie können wir uns schützen? Wie können wir uns durchsetzen?

 

Ich stelle Ihnen eine wirkungsvolle Haltung vor, mit der Sie leichter angemessen und in Kombination mit geeigneten Erziehungsmaßnahmen durchsetzungsstark reagieren können.

Wohlwollen wirkt Wunder

Angesichts von Respektlosigkeiten in der Schule ist es vielleicht nicht verwunderlich, wenn wir denken oder sogar im Affekt aussprechen, dass die Klasse X "voller Idioten", die Schülerin bzw. der Schüler Y "ein Blödmann" oder die junge Generation "zu nichts taugt, unmotiviert und unverschämt" ist. Andererseits bringt "Abstempeln" wenig, am wenigsten für uns selbst. Vielleicht erscheint es uns zunächst folgerichtig, aber wir entwickeln später häufig doch ein ungutes Gefühl über unser Urteil und spüren, wie sich unser Blick verengt hat. Manchmal sogar stellen wir pädagogische Werte oder unsere Berufswahl infrage.

 

Einer meiner Weiterbildner, Uwe Gonschorek, hat die Haltung, die ich gerade im Umgang mit Respektlosigkeit paradoxerweise als hilfreich erachte, im Slogan "Wohlwollen wirkt Wunder" zusammengefasst. Diese Haltung ist sehr schwer einzunehmen, denn wir müssen den anderen "Gutes" unterstellen, auch dann, wenn sie sich "böse", d.h. respektlos und verletzend, verhalten. Aber diese Haltung bietet Selbstschutz, kann eine Grundstimmung in einer Klasse verändern und darüber hinaus vorbildlich auf Schülerinnen und Schüler wirken.

Wie funktioniert Wohlwollen?

Wohlwollende Lehrerinnen und Lehrer wissen:

 

Wenn Schülerinnen und Schüler sich respektlos zeigen, verletzen sie andere häufig deshalb, weil sie selbst verletzt worden sind. Gerade in der Kindheit und Jugend haben sie noch nicht gelernt, sich gegen Menschen zu wehren, die bewusst oder unbewusst ihre Vormachtstellung ihnen gegenüber ausgenutzt haben. So "schlagen" sie "zurück", häufig auch in der Schule gegenüber Lehrkräften. Insbesondere während der Pubertät kann Respektlosigkeit auch dazu dienen, Grenzen auszutesten (Wie weit kann ich gehen?), Enttäuschungen zu vertuschen (z.B. Liebeskummer; fehlende Anerkennung in der Peer-Group; Trennung der Eltern) oder Selbstzweifel ruhig zu stellen (z.B. Sehe ich attraktiv genug aus?; Bin ich gut genug?).

 

Dieses Wissen, gerade in Situationen der Respektlosigkeit abzurufen, kann uns helfen, uns zu beruhigen. Wohlwollend können wir empathische Überlegungen anstellen, was Schülerinnen und Schüler gerade zu ihrem Fehlverhalten veranlasst. Unter Umständen können wir Gelegenheiten suchen, dies mit ihnen gemeinsam zu ergründen. Das Bewusstsein, dass in der Regel Leid und Schwäche hinter respektlosem Verhalten stecken, schützt uns davor, dieses persönlich zu nehmen, gekränkt zu reagieren oder unangemessene Urteile zu fällen.

 

So sind wir in der Lage, positiv zu reagieren, d.h. uns zunächst auf das zu fokussieren, was in der Klasse lobenswert läuft. Das kann das regelkonforme Verhalten von Mitschülerinnen und Mitschülern sein oder eine -vielleicht minimale- Verhaltensänderung der respektlosen Schülerin bzw. des respektlosen Schülers (oder einer Schülergruppe), die es positiv hervorzuheben gilt. Beispielsweise: "Heute arbeitet ihr sehr gut mit", "Ich freue mich, dass alle/sehr viele von euch die Hausaufgabe (gut) gemacht haben", "Sehr gut! Jetzt hast Du es geschafft, ruhiger zu sein/ weniger dazwischen zu reden/ nicht durch die Klasse zu laufen/ dich zu konzentrieren/ freundlich zu sein/ Schimpfworte wegzulassen/ keine Papierkügelchen abzuschießen/ gut in der Gruppenarbeit mitzuarbeiten/ das Lehrbuch dabei zu haben/...".

 

Oft verändert sich in einer Klasse dadurch, dass wir weniger ermahnen, dafür aber mehr loben, die Grundstimmung konstruktiv. Die Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler zu kooperieren steigt durch unsere positive Verstärkung.

 

Wenn aber Respektlosigkeit eskaliert, hilft die wohlwollende Haltung, gelassener die notwendige Erziehungsmaßnahme aus unserem Repertoire zu wählen. Wir behalten die Ruhe. Die Situation ist anstrengend, aber wir können das Fehlverhalten deutlich als Grenzüberschreitung aufzeigen, ohne zu unfreundlich zu werden. Danach lässt sich unsere Erziehungsmaßnahme bestimmt und im angemessenen Ton ankündigen und konsequent durchführen.

 

Unsere Art des Auftretens fordert den Respekt der Schülerinnen und Schüler heraus, und zwar sowohl dann, wenn sie direkt davon betroffen sind, als auch, wenn sie unser klares Auftreten beobachtend aufnehmen. Wie ein "Wunder" bewirkt das "wohlwollende" -auf Lob fokussierte, aber situativ auch bestimmt durchgreifende- Erziehungshandeln häufig eine entspanntere Klassenstimmung und deutlich respektvolleres Schülerverhalten.  

Persönlicher Benefit

Wir sind in unserer Kraft. Auch wenn wir es nicht immer schaffen, uns auf diese Weise Respekt zu verschaffen, so bringt unsere grundsätzlich wohlwollende Haltung gegenüber den Schülerinnen und Schülern mit sich, dass diese im Fokus unserer Förderung bleiben und wir weder pädagogische Werte noch unsere Berufswahl infrage zu stellen brauchen. Wir haben im Gegenteil ein klares pädagogisches Übungs- und Experimentierfeld, um stetig sicherer im Umgang mit Respektlosigkeit zu werden und zu Respekt zu erziehen. Auch der Song von SDP könnte -didaktisch aufbereitet und klassenspezifisch eingesetzt- helfen, dazu beizutragen. 

Links

https://www.musixmatch.com/de/songtext/SDP-feat-Weekend/Tanz-aus-der-Reihe

https://www.planet-schule.de/wissenspool/entscheide-dich/inhalt/hintergrund/respekt-ein-menschliches-grundbeduerfnis.html