· 

Digitale Mündigkeit- Schule zukunftsweisend führen

Was brauchen Schüler*innen heute, um in der Welt von morgen zu bestehen? Wie sieht die ideale Schule des 21. Jahrhunderts aus? Was sollte im Unterricht passieren, was im Schulleben? Welche Führung von Schule brauchen wir?

 

Ich stelle uns diese Fragen vor dem Hintergrund der rasant wachsenden Bedeutung der Digitalisierung in unserer Gesellschaft und der Nutzung digitaler Medien, insbesondere von Jugendlichen. Ich stelle sie auch, weil ich immer häufiger höre, die dringend erforderliche "digitale Transformation“ der Schule gehe viel zu schleppend voran. Die Ängste in der Lehrerschaft seien groß, die Bereitschaft zur Mitwirkung gering. 

"Digitale Angst"

Ist aber unsere "digitale Angst" nicht nachvollziehbar und verständlich, sogar hilfreich? Weist sie nicht auf ernstzunehmende "digitale Risiken" hin? Einige Beispiele:

  • Big Data- was genau passiert mit unseren Daten, die überall gezielt und im großen Stil, z.B. von Facebook, gesammelt werden,
  • Industrie 4.0- wird es in Zukunft nur noch digitale Arbeitsplätze geben; wird dadurch Einsamkeit zunehmen,
  • Künstliche Intelligenz und Robotik- wie lange noch steuern wir die Roboter, ehe sie uns steuern können; werden dadurch Menschlichkeit und wahre Freundschaften abnehmen.

Angesichts solcher Themen und Fragestellungen fühlen wir Lehrer*innen uns häufig eher herausgefordert, in der Schule eine tiefer gehende medienkritische Auseinandersetzung zu fördern und Menschlichkeit, emotionale Lehrer*in-Schüler*in-Beziehungen und die wirkliche Begegnung zu bewahren. Gleichzeitig gilt für uns nach wie vor der Bildungsauftrag: Die Schüler*innen "sollen zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern erzogen werden, die verantwortungsvoll, selbstkritisch und konstruktiv ihr berufliches und privates Leben gestalten und am politischen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen können“ (Kultusministerkonferenz, 2005). 

 

Wie aber können wir zu Mündigkeit im digitalen Zeitalter erziehen, das uns kontinuierlich mit umfassendem gesellschaftlichen Wandel konfrontiert? Welche Art der technischen, kulturellen, sozialen und psychischen Vorbereitung muss von uns in der Schule jetzt geleistet werden, damit aus heutigen Schüler*innen verantwortungsvolle Bürger*innen von morgen werden?

"JIM"- Jugend, Information, Medien

Es lohnt ein Blick in die neuste repräsentative "JIM-Studie" zum Medienverhalten Jugendlicher zwischen zwölf und 19 Jahren vom Medienpädagogischen Forschungsverband Südwest.

Hier wird nämlich augenfällig, dass

  • nahezu alle Jugendliche heutzutage in ihren Familien mit einem breiten Medienangebot aufwachsen: "In praktisch allen Familien sind im Jahr 2018 Smartphones, Computer/Laptop und Internetzugang vorhanden…Tablets stehen bei 67 Prozent zur Verfügung, Fernseher mit Internetzugang (Smart-TVs) können in drei von fünf Familien genutzt werden.“
  • sie täglich ein eigenes Smartphone nutzen: "Mit 97 Prozent besitzen praktisch alle Jugendlichen ein Smartphone, das viele verschiedene Medientätigkeiten und eine multifunktionale Nutzung ermöglicht ..."
  • die digitale Kommunikation mit der Peergroup Schwerpunkt ihrer Nutzung ist: "Die Nutzung der Social Media-Plattformen verfestigt sich kontinuierlich im Alltag der Jugendlichen. Die vorgegebene Liste potentieller Dienste wird mit deutlichem Abstand von WhatsApp angeführt: 95 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen nutzen diesen Messenger mindestens mehrmals pro Woche (täglich: 82 %) – die WhatsApp-Nutzer schätzen, dass sie pro Tag 36 WhatsApp-Nachrichten erhalten. Instagram verzeichnet zwei Drittel regelmäßige Nutzer (täglich: 51 %), Snapchat 54 Prozent (täglich:  46 %)...". 

"Digitale Mündigkeit"

Die Zahlen der "JIM-Studie" zeigen meiner Ansicht nach, wie sich Jugendliche heute täglich den digitalen Herausforderungen unserer Zeit stellen. Eigenständig bereiten sie sich auf eine Zukunft vor, in der sich vermutlich jede*r Bürger*in dank vielfältiger Möglichkeiten digital einbringen kann und muss, damit sie*er an unserer Gesellschaft partizipieren kann und dazugehört. Kenntnisse teilen, sich an Diskussionsprozessen zu beteiligen und unbegrenzt auf Wissen zugreifen zu können, werden selbstverständliche digitale Kompetenzen sein. Sich digital zu zeigen und als leistungsstarke Persönlichkeit weiterzuentwickeln, wird deshalb genauso zur Mündigkeit - digitalen Mündigkeit - gehören wie die Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme und Selbstreflexion. 

 

Die Bedeutung der Schule als Ort der Wissensvermittlung hat deswegen abgenommen, aber ihre Bedeutung, diesen Prozess des "digital Mündigwerdens“ pädagogisch zu begleiten, kann meiner Meinung nach nicht hoch genug eingeschätzt werden. 

 

Dafür attraktive Lernräume bereitzustellen, die eine demokratische und an humanen Werten orientierte, interaktive, kreative und kritische Auseinandersetzung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ermöglichen, ist außerordentlich wichtig geworden. Hier gestalten wir Lernarrangements, um Schüler*innen auf vielfältige Weise - analog und digital - zu unterstützen, sich die Welt anzueignen, kritisches Denken zu entwickeln und ihre Persönlichkeit herauszubilden. Unsere Rolle als Lehrer*in verändert sich, kann nun treffender mit "Lernbegleiter*in“ beschrieben werden und erfordert stärker denn je unsere eigene fachliche, digitale und persönliche Fortentwicklung. 

 

Entscheidend aber bleibt unsere pädagogische Grundhaltung, die es unbedingt zu bewahren gilt, denn in der Schule sind  w i r  es, die Schüler*innen als Vorbild "aus Fleisch und Blut mit Stärken und Schwächen“ in die digitale Mündigkeit führen. 

 

Jede Schulgemeinschaft kann nur selbst entscheiden, welche Veränderungen (oder "digitale Transformationen“) in der Schule sie braucht, um gemeinsam bewusst und zielgerichtet zu digitaler Mündigkeit zu erziehen. 

Welche Führung braucht es?

Gute Schulleitungen führen meiner Erfahrung nach mit Augenmaß. Es geht in erster Linie darum, das Kollegium bewusst zu fokussieren: An unserer Schule begleiten wir Schüler*innen in ihre digitale Mündigkeit. Eine Vorgehensweise wäre, in einem demokratisch organisierten Prozess der respektvollen Auseinandersetzung aller Akteure, Schüler*innen sowie Eltern einbezogen, ein Medienkonzept für die Schule zu entwickeln.

 

Dafür kann die Schulleitung sowohl analoge als auch digitale Beteiligungsformate bzw. -plattformen nutzen und ihr volles Vertrauen in die Akteure setzen. Die Steuerung besteht primär darin, diese auf kluge Weise analog und digital in Arbeitsgruppen zusammenzuführen und die Gruppenergebnisse in ein abgestimmtes Medienkonzept münden zu lassen. Unterstützung bieten Schulentwicklungsberater*innen, pädagogische Medienberater*innen und Fortbildner*innen. 

 

Auf diese Weise erarbeitet sich die Schulgemeinschaft ein praxistaugliches Konzept. Dieses bildet sowohl digitale Kompetenz als auch ihre Vorstellungen zu digitaler Mündigkeit ab, weil Erfahrungen aus der digitalen (Außen-) Welt in der Schule kritisch reflektiert und gemeinsam konzeptionell weiterentwickelt wurden. Die praktische Umsetzung des Konzepts und der Prozess der Erarbeitung können im Verlauf mehr und mehr eine Einheit bilden. So wird es möglich, Konzept und Schulpraxis kontinuierlich und am gesellschaftlichen Wandel orientiert weiterzuführen.

 

Welches Feuerwerk an digitaler Unterrichtspraxis und Schulorganisation ein Medienkonzept entfalten kann, lesen Sie am besten hier. Dieses Konzept ist mit dem Schulpreis ausgezeichnet worden. Vieles davon stelle ich mir in der Praxis für a l l e Beteiligten an der Realschule am Europakanal in Erlangen sensationell gut vor. Inspirierend finde ich zum Beispiel, dass

  • dort (acht) iPad-Klassen (von 32) eingerichtet wurden, aber durch die "BYOD-Strategie" (Bring your own device) mehr als 300 Geräte von Schüler*innen und Lehrer*innen in das Schulnetz eingebunden sind, es einen Pool für Leihgeräte gibt und jede*r Schüler*in das eigene Smartphone im Unterricht fachlich nutzen kann (Schul-WLAN),
  • unterstützt durch den schuleigenen sog. "EDU-BLOG" Unterrichtsinhalte für Schüler*innen und Eltern im Internet veröffentlicht werden,
  • es neben den "traditionellen" Lehrbüchern eine Fülle von multimedial angereichertem Unterrichtsmaterial gibt (z.B. interaktive Bücher, Lern-Apps), die Schüler*innen auch digital fordern, sich selbstständig mit dem Unterrichtsstoff auseinanderzusetzen, 
  • Unterrichtsmaterial von Schüler*innen im Unterricht selbst erstellt wird (z.B. Video-Tutorials, kurze Filme) oder Arbeitsergebnisse vom eigenen Gerät aus in der Klasse über interaktive Whiteboards präsentiert werden (z.B. Rechercheergebnisse aus dem Internet, Dokumentation von Experimenten),
  • der Unterricht sinnvoll mit digitalen Unterrichtsmethoden ergänzt wird (z.B. "Flipped Classroom"). 

Wer kann das leisten?

Sie!

Fragen Sie sich: Wie wichtig ist mir das Ziel, an unserer Schule Schüler*innen in ihre digitale Mündigkeit zu führen? Wo stehen wir? Was verwirklichen wir schon? Was brauchen wir noch? Was wäre ein nächster Schritt? 

 

Weiterführende Links