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Die Harmoniefalle

 

Wenn wir merken, dass wir Konflikten in der Schule häufiger geschickt aus dem Weg gehen und Auseinandersetzungen mit Schülerinnen und Schülern, Eltern, der Schulleitung und im Kollegium eher gekonnt meiden, dann können das Symptome unserer persönlichen Harmoniefalle sein. Wir bemerken vielleicht zudem, wie gut wir darin sind, uns so zu verhalten, dass Meinungsverschiedenheiten gar nicht erst auftreten.

 

Womöglich haben wir im Kollegium die Rolle des "wahren Kumpels" -weiblich oder männlich- oder der "lieben Lehrerin" oder des "netten Lehrers" in der Schülerschaft, die wir permanent aufrecht erhalten möchten. Manchmal mischen sich zwar Untertöne in unseren guten Ruf, wir wären nicht streng oder nicht profiliert genug, aber in der Regel sind wir beliebt und gefragt, beides ist uns -meistens zunächst unbewusst- sehr wichtig. 

 

Am Anfang ist "schattige Harmonie"

 

Ohne dies genügend wahrzunehmen, betreiben wir für unseren guten Ruf immer wieder großen psychischen Aufwand, sind zuvorkommend, hilfsbereit und zugewandt. Neben der Erledigung der vielen täglichen Aufgaben, die unser Beruf erfordert, kann dieser Aufwand, den wir uns dauernd abverlangen, äußerst anstrengend werden. Häufig bemerken wir erst durch den stetig ansteigenden Stress die Schattenseiten unseres netten, auf Harmonie angelegten Verhaltens, unsere Harmoniefalle. Manchmal ist auch eine Beziehung, in der wir bei aller Anstrengung kein harmonisches Verhältnis erreichen oder in dem die Harmonie immer wieder gestört wird, Auslöser, um über die Schattenseiten unseres Harmoniestrebens nachzudenken. Da wir in der Schule viele verschiedene Beziehungen pflegen (zu Schülerinnen und Schülern, Kolleginnen und Kollegen, zu unserer Schulleiterin oder unserem Schulleiter) oder kurzfristig herstellen müssen (z.B. zu den Eltern), ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir mit Harmoniestörungen, d.h. auch mit Konflikten, umgehen müssen. 

 

Wie können wir unsere auf Harmonie ausgerichteten persönlichen Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen so reflektieren oder verändern, dass wir es schaffen, bei Schulkonflikten professionell zu handeln, um unserer Harmoniefalle bewusst etwas entgegenzusetzen? Inwiefern kann unser verändertes Verhalten zu unserer Entlastung beitragen?

 

Mehr Respekt statt zu viel Harmonie

 

Es kann hilfreich sein, in persönlicher Reflexion zu ergründen, wie mein Harmoniebedürfnis -vermutlich in der Kindheit- entstanden ist. Nach meiner Erfahrung mit Klientinnen und Klienten ist es jedoch nicht unbedingt nötig, hier umfassend in die Tiefe zu gehen. Vielmehr kann die Überlegung, ob es nicht gerade in der Schule wichtiger ist, Respekt vorzuleben und als Respektperson anerkannt zu werden, ein attraktives Ziel für persönliche Verhaltensänderungen beinhalten. 

 

Ich könnte mir vornehmen "Ab sofort ist es mir wichtiger, respektiert als gemocht zu werden" und reflektieren, welchen Gewinn das für mich hätte. Zum Beispiel könnte ich lernen, freundlich, aber klar und deutlich zu kommunizieren und auf Bitten und Wünsche, die an mich herangetragen werden, begründet mit einem "Nein"  zu reagieren: "Nein, die Klassenfahrt muss keine ganze Woche (womöglich mit Wochenende) dauern, denn ich habe für unser Hauptziel, dass die Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig kennen lernen, ein kompaktes 3-Tage-Programm mit vielen Kennenlernspielen ausgearbeitet." "Nein, dieses Mal übernehme ich die Vertretung / das Protokoll / die Pausenaufsicht / die schwierige Klasse / den fachfremden Unterricht nicht, weil ich das bereits letztes Mal getan habe; Geben und Nehmen sollten in einem Team schließlich in Balance sein." 

 

Die dadurch entstehenden Entlastungen für mich liegen auf der Hand. Wäre es nicht darüber hinaus möglich, dass mein Gegenüber zwar kurzfristig enttäuscht von mir ist, aber mittel- und langfristig mich und meine professionellen Entscheidungen respektiert? Wie würde sich das für mich anfühlen? Wäre mein neues Gefühl schlechter als das mir vertraute "Everybody`s Darling" oder sogar besser?

 

Bei Konflikten Haltung zeigen

 

Sollte sich aus einem "Nein" ein handfester Konflikt entwickeln, so kann -wie für jeden anderen Konflikt in der Schule- eine offene, positive Haltung Konflikten gegenüber hilfreich sein. Eine solche Haltung fällt uns sehr schwer, denn Konflikte bedeuten das genaue Gegenteil von Harmonie. Sie machen uns deshalb vermutlich regelrecht Angst, obwohl wir sie als normal betrachten sollten, denn im Spannungsfeld der Schule interagieren Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Interessen und Ansichten. Bewährt hat sich, Schritt für Schritt unterschiedliche, zum Teil sehr einfache Konfliktstrategien auszuprobieren und eine Auswahl als persönliches, für mich jederzeit abrufbares Repertoire anzulegen.

 

Haben Sie z.B. schon einmal versucht, in Konfliktsituationen mit bewusstem Einsatz Ihrer Stimme (besonders ruhig oder betont energisch) zu experimentieren? Oder haben Sie, wenn es z.B auf einer Konferenz emotional hoch hergeht, daran gedacht, den Vorschlag zu machen, eine 10-minütige Pause des Innehaltens und des Sich-Sammelns einzulegen, um danach zur Sachlichkeit zurückkehren zu können? Auf der Ebene des Unterrichts, unseres Kerngeschäfts, war es für mich immer wichtig -zumindest wenn es sich eher um eine Störung als um einen Konflikt handelte-, möglichst schnell zum Unterricht zurückzukehren, damit sich für die Klasse keine Störung als Ablenkungsmanöver lohnte. Im Fall von tiefer liegenden oder schon eskalierten Klassenkonflikten diente mir zum Beispiel das strukturierte Klassengespräch nach Gordon als Sicherheit gebendes Gerüst, um Lösungen mit den Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten und ihnen Konfliktlösekompetenz vorzuleben. Heute bin ich außerdem überzeugt von der Methode der Kollegialen Beratung, deren strukturiertes Vorgehen uns ermöglicht, professionelle Ideen und Lösungen für Konfliktfälle in einem vertrauten Kollegenkreis zu entwickeln. 

 

Am Ende ist "professionelle Harmonie"

 

Als Fazit möchte ich herausstellen, dass wir -gerade wenn wir Konflikte frühzeitig erkennen und bewusst aufgreifen-, die Chance haben, konstruktiv und professionell zu handeln und als Lehrerpersönlichkeit respektiert zu werden. Verharren wir zu lange in unserer Harmoniefalle, vermeiden also den Konflikt, kann es passieren, dass sich negative Gefühle in uns hineinfressen oder so aufstauen, dass wir uns unter Umständen in einer ungeeigneten Situation Luft verschaffen, indem wir weinen oder laut bzw. unsachlich reagieren. Im ersten Augenblick kann sich besonders letzteres sogar so anfühlen, als hätten wir unsere Harmoniefalle erfolgreich gesprengt. Was uns jedoch wirklich Respekt verschafft, ist bewusstes professionelles Kommunizieren, gerade auch in problematischen Situationen, um Konflikte einsichtig für alle Seiten zu klären bzw. zu lösen und einen gemeinsamen (Aus-)Weg für die Zukunft zu finden.

 

Eigentlich doch ganz harmonisch, oder?